Abstract
Beim Thema Schuld und Verantwortung lassen sich Emotionen nicht immer einfach zurückstellen. Das gilt auch für Wissenschaftler wie die Völkerrechtler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich während des Ersten Weltkrieges mit den Makroverbrechen an den christlichen Minderheiten in Anatolien während des Ersten Weltkrieges konfrontiert sahen. Der politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Kontext, in welchem sie aktiv waren, prägte ihre Haltung und ihre wissenschaftlichen Thesen entscheidend mit. Die „language of rights“, die Opfern eine Stimme geben sollte, war daher schon in dieser Zeit auch eine „language of power“. Entsprechend waren die Diskussionen über die damals noch wesentlich weniger präzis gefassten Begriffe und Tatbestände der Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord Teil der damals globalen Auseinandersetzung um die Gestaltung der Zukunft der Ahndung von internationalen Makroverbrechen im Krieg. Die Tatsache, dass der Vorschlag von Gustave Moynier, 1864–1910 Präsident des IKRK, von 1872 für die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes keine Umsetzung gefunden hatte, spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle, wie der vorliegende, historisch ausgerichtete Beitrag zu zeigen versucht.