Abstract
Troeltschs Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Weltbildern in "Der Historismus und seine Probleme" bietet grundlegende, noch heute aktuelle Einsichten in die Erkenntnisbedingungen der Naturwissenschaften. Der Begriff des Naturalismus erhält in diesem Zusammenhang eine ähnliche Mehrdeutigkeit wie der Begriff des Historismus (1). Troeltschs Position zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und ihren Verallgemeinerungen zu Weltbildern findet einen öffentlichen Ausdruck in seiner ambivalenten Haltung gegenüber der nach dem Ersten Weltkrieg aufkommenden Naturwissenschaftskritik. Man kann vermuten, daß diese lebensphilosophisch ausgerichtete Nachkriegsströmung auf die Herausbildung des heutigen Begriffs von Naturwissenschaft beträchtlichen Einfluß ausgeübt hat. Ohne sich das Programm der wiedererstarkten Lebensphilosophie zu eigen zu machen, teilt Troeltsch ihre entschiedene Ablehnung naturwissenschaftlich orientierter Generalisierungsbemühungen (2). In den letzten beiden Teilen möchte ich exemplarisch zeigen, daß sich die soweit rekonstruierte wissenschaftstheoretische Position auch auf Troeltschs frühere Analysen stützen kann. Eine 1901 verfaßte Besprechung von Haeckels Buch „Die Welträthsel“, dem herausragenden Beispiel öffentlichkeitswirksamer Sinnstiftung aus den biologischen Wissenschaften, illustriert seine schon früh differenzierte Geltungskritik naturwissenschaftlicher Weltbilder (3). Schließlich können die im Spätwerk enthaltenen Einsichten in den größeren Kontext seiner schon zu Anfang des Jahrhunderts erschienenen Analysen des Modernisierungsprozesses, in denen er den Naturwissenschaften eine zentrale Rolle zumißt, eingeordnet werden (4).