Abstract
Tocquevilles originelle Theorie der Revolution (s. Kap. 90), die er anhand seines intensiven Studiums der Zustände im Ancien Regime am Vorabend der Ereignisse von 1789 aufstellt, hat eine recht simpel anmutende Grundthese: Die Gefahr eines politischen Aufstands nehme signifikant zu, sofern zuvor von der Regierung Reformen eingeleitet wurden, die eine Wende zum Besseren bereits absehbar machen, das eigentlich Revolutionäre an der Situation aber dennoch nicht zu entschärfen vermögen, sondern es als solches sogar oftmals erst provozieren. Mit anderen Worten, Revolutionen brechen im Zweifelsfall und gegen die Auffassung von Marx gerade nicht dann aus, wenn die Repressalien und empfundenen Ungerechtigkeiten am größten sind, sondern sobald die schlimmsten Versäumnisse schon gemildert wurden (Elster 2011, xv). Diesen prekären und bis dato weitläufig übersehenen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Risiko einer Revolution und wirksamen, jedoch verspätet angebrachten Reformen diskutiert Tocqueville im dritten Buch seines Werks L’Ancien Régime et la Révolution (1856).