Abstract
Die ärztliche Schweigepflicht ist für die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient von grundlegender Bedeutung. Von besonderer Brisanz sind Fälle, bei denen das Schweigegebot eine Gefährdung Dritter bewirkt. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt hat eine erhebliche medizinrechtliche und ethische Debatte ausgelöst: Eine Frau als Klägerin verlangte vom Hausarzt der Familie die Feststellung der Schadensersatzpflicht und ein hohes Schmerzensgeld aufgrund einer Pflichtverletzung, da der Arzt von der Aids-Erkrankung ihres uneinsichtigen Lebensgefährten wusste, die Patientin aber mit Verweis auf seine Schweigepflicht nicht über die Gefahr informiert hatte. Problematisch ist die von den Richtern neben dem Offenbarungsrecht vertretene Rechtspflicht des Arztes zur Mitteilung des Sachverhaltes. Der Beitrag erörtert die ethischen und rechtlichen Implikationen dieses Urteils sowie die grundlegenden Regelungen des neuen Schuld- und Schadenersatzrechts in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht. Aus medizinethischer Perspektive ist bei der Güterabwägung für die höher rangigen Werte zu entscheiden (Prinzipien des Nichtschadens und der Benefizienz, "Tarasoff-Pflicht" zur Warnung), gleichwohl zeigen der genannte und andere Fälle Defizite in der Patient-Arzt-Beziehung in Bezug auf einen reflektierten Dialog und die Notwendigkeit von klaren Empfehlungen für den Alltag. Ein interdisziplinärer Ansatz kann medizinrechtliche und ethische Aspekte sinnvoll integrieren.