Sachverhalte, Objekte und Supervenienz. Brentano, Marty und Meinong
Abstract
Die offizielle Urteilstheorie Brentanos war eine nicht-propositionale Theorie. Die These, dass man, um die in einem Urteilsakt involvierten intentionalen Beziehungen zu erklären, keine propositionalen Entitäten einführen muss, war in der Tat eine seiner interessantesten Ideen. Brentano hat aber im Laufe seiner Lehrtätigkeit sehr viele neue Wege ausprobiert und so finden wir in seinen Vorlesungen aus den späten achtziger Jahren auch eine Urteilstheorie, die jedem Urteilsakt eine propositionale Entität zuordnet. Gerade diese Lehre war für Brentanos Studenten besonders inspirierend. Vor allem Anton Marty und Carl Stumpf haben sehr interessante Theorien von solchen, wie sie es nannten, Inhalten entwickelt. 1888 hat Stumpf in seinen Vorle¬sun¬gen für der¬ar¬tige Entitäten den Ausdruck „Sachverhalt” ein¬geführt. Da sich vor allem diese Bezeichnung als terminus technicus durchgesetzt hat, werden wir sie in diesem Aufsatz auch in Bezug auf diejenigen Philosophen verwenden, die ihre propo¬sitionalen Entitäte anders nannten. Unter den treuen Brentanisten war es Anton Marty, der am konsequentesten an der Unentbehrlichkeit solcher Sachverhalte als Wahrmacher für richtige Urteile bestand. Seine Theorie hat jedoch einen etwas merkwürdigen Charakter. Die Sachverhalte werden einerseits als unverzichtbare Elemente des ontologischen Mobiliars angesehen, andererseits finden wir aber bei Marty eine deutliche Tendenz, sie als Strukturen zu interpretieren, die auf den Dingen (der nominalen Form), wie man es heutzutage gerne sagt, supervenieren. Der Sinn, in dem sie dann noch als unreduzierbar zu bezeichnen sind, ist nicht einfach zu eruieren. Der Philosoph, der sich von diesem, an sich sehr attraktiven, Supervenienz¬gedanken endgültig verabschiedet hat, war Alexius Meinong. Wir besprechen die Hauptpunkte seiner Kritik, untersuchen mögliche Auswege und versuchen die innere Spannung Martys Sachverhaltsbegriffs zwischen der Supervenienz und Unreduzierbarkeit ein wenig zu klären.