Abstract
Das ‚Paradoxon der Fiktion‘ steht im Kontext der Frage, warum Fiktionsrezipienten emotional auf Fiktionen reagieren. Das Paradoxon wurde in den Blütezeiten streng kognitivistischer Gefühlstheorien formuliert, denen zufolge Gefühle entweder in Überzeugungen gründen oder selbst eine Art Überzeugung sind. Im Rahmen dieses Paradigmas sind Gefühle, die sich auf Fiktionen beziehen, eine Herausforderung der Rationalität. Wenn auch die heutige Gefühlsforschung streng kognitivistische Gefühlstheorien (narrow cognitivism) zugunsten eines Kognitivismus im weiten Sinne (broad cognitivism) ablehnt, hat die im ‚Paradoxon der Fiktion‘ formulierte Frage ihre Anziehungskraft nicht verloren und erweist sich als hoch produktiv. Die Fruchtbarkeit dieser Debatte zeigt sich, wenn es darum geht, die Rolle der Imagination bei unserer Beschäftigung mit Fiktionen zu erklären, oder darum, unsere emotionalen Reaktionen auf Fiktionen besser zu verstehen.
Dieser Aufsatz gliedert sich in fünf Teile. Nach einer Formulierung des Paradoxons der Fiktion und seiner Prämissen (1) werden die wichtigsten Lösungsvorschläge im Rahmen jener streng kognitivistischen Gefühlsmodelle dargestellt, die in der Gefühlsforschung bis zur letzten Jahrhundertwende die Debatte dominiert haben (2). Daraus folgt eine Darstellung des Paradoxons im Kontext des heutigen Kognitivismus in weitem Sinne (3). Im vierten Abschnitt wird die Frage nach der praktischen Rationalität behandelt (4); schließlich wird die Frage nach der Zukunft des Paradoxons gestellt und auf den aktuellen Forschungsbedarf hingewiesen (5).