Abstract
Durch den rasanten Fortschritt in den Neurowissenschaften ergibt sich ein bidirektionales Implikationsverhältnis zwischen Ethik und Neurowissenschaften: Einerseits haben neurowissenschaftliche Erkenntnisse epistemische Implikationen für anthropologisch-ethische Grundkonzepte, andererseits haben ethische Kriterien normative Implikationen für neurowissenschaftliche Interventionen. Die Neuroethik untersucht diese normativen Implikationen systematisch auf der metaethischen, der theoretischen und der praktischen Ebene. Um eine spezifische und differenzierte ethische Analyse der einzelnen neurowissenschaftlichen Interventionen zu ermöglichen, soll hier eine bereichsspezifische, neuroethische Kriteriologie vorgestellt werden. Durch exemplarische Anwendung ihrer einzelnen Kriterien auf gegenwärtige und zukünftige neurowissenschaftliche Forschungs- und Interventionsmöglichkeiten soll gezeigt werden, dass sie eine systematische und zugleich praktisch anwendbare Möglichkeit bietet, einen normativen Orientierungsrahmen für Neurowissenschaften und Neurologie zu gewinnen. Insofern sie auf weitgehend konsensfähigen ethischen Prinzipien basiert, kann sie zudem als ethische Grundlage für einen breiten klinischen und wissenschaftlichen Diskurs dienen.