Abstract
Frauen sind ängstlich, Männer sollen mutig sein. Bei dieser Behauptung handelt es sich zwar nicht um ein wörtliches Zitat von Kant, doch gibt sie seine Auffassung recht genau wieder. Und sie kann in gewisser Weise als geradezu paradigmatisch für die Geschlechterspezifik von Emotionen stehen, so wie Kant sie sieht. Nun ließe sich einwenden, bei Ängstlichkeit und Mut handele es sich nicht um Emotionen, sondern um Charaktereigenschaften. Das soll natürlich nicht bestritten werden. Doch sind sie ebenso wie zahlreiche andere, etwa die Schamhaftigkeit, eng mit den entsprechenden Emotionen verbunden: sich ängstigen, sich schämen. Zudem benutzt Kant des Öfteren den die Charaktereigenschaft bezeichnenden Ausdruck, meint aber das Gefühl. Das ist insbesondere in von ihm selbst nicht publizierten Notizen, etwa den Reflexionen der Fall. Das gleiche gilt für die von Studierenden eilig mitgeschriebenen Vorlesungen, die oft nur in Form weiterer Nachschriften vorliegen. Hierzu ist anzumerken, dass sowohl Kants Notizen oder den Reflexionen finden) als auch die Mit- und Nachschriften der Vorlesungen seine Auffassung möglicherweise in geringerer Authentizität wiedergeben als die von ihm selbst publizierten Schriften. Das wird an Ort und Stelle nicht jeweils eigens erwähnt, sondern ist stets mitgedacht. Denn ich werde zur Untersuchung der Geschlechterspezifik von Emotionen bei Kant wiederholt sowohl auf die Bemerkungen und Reflexionen als auch auf Vorlesungsnachschriften zurückgreifen müssen, sind sie doch weitaus ergiebig als seine Schriften, von denen nur die Beobachtungen und die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht ausführliche Überlegungen zu unserem Thema enthalten