Schwerpunkt: Die Ästhetik der zweiten Natur

Deutsche Zeitschrift für Philosophie 66 (3):321-324 (2018)
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Abstract

Die praktische Philosophie der Gegenwart hat in vielfacher Weise Gebrauch von dem Gedanken gemacht, dass unsere sittliche Konstitution uns zur „zweiten Natur“ wird. Diesem Gedanken kann eine therapeutische, eine affirmative und eine kritische Wendung gegeben werden: In der therapeutischen Verwendung soll uns die Erinnerung, dass praktische Vernunft uns zur zweiten Natur werden kann, helfen, einen Dualismus von Geist und Natur zu überwinden, ohne uns auf einen reduktiven Naturalismus festzulegen. In der affirmativen Wendung soll der Begriff der zweiten Natur die Exzellenzform praktischen Könnens artikulieren, das gerade darin seine höchste Stufe erreichen soll, das Richtige unmittelbar sehen und tun zu können. In der kritischen Verwendung drückt die Formel schließlich aus, dass eine erworbene sittliche Konstitution, die uns zur bloßen zweiten Natur geworden ist, sich unserer freien Aneignung und Bestimmung entzieht und uns auf eine problematische Weise bestimmt. In all diesen Varianten ist bislang weitgehend unerörtert geblieben, dass die philosophische Tradition nicht nur unsere erworbenen sittlichen Tugenden als „zweite Natur“ bestimmt hat, sondern auch mit Blick auf die schöne Kunst von „zweiter Natur“ spricht. Auch das Kunstwerk ist nach einem neuzeitlichen Topos, den die Ästhetik um 1800 aufgreift und schnell verbindlich gemacht hat, als eine „andere“ oder „zweite“ Natur zu verstehen, die durch den Künstler hervorgebracht wird und von der ersten Natur spezifisch unterschieden ist: Das Kunstwerk ist ein Produkt der Freiheit, das erneut als Natur erscheint (Kant); es gibt der ersten eine „zweite Natur“ zurück, die zugleich „eine gefühlte, eine gedachte, eine menschlich vollendete“ ist (Goethe); und es vollbringt das Kunststück einer „gesetzten Unmittelbarkeit“, einer Setzung von Sein, die an die gesetzte Unmittelbarkeit der Gewohnheit erinnert (Hegel). Wenn man diese Bestimmungen etwas weiter folgt, lässt sich schnell erkennen, dass es sich hier nicht um eine zufällige Homonymie handelt, sondern dass durch die Bestimmung als „zweite Natur“ ein gemeinsamer Problemhorizont angedeutet ist, auf den sich die zweite Natur der Sitte und die andere Natur der Kunst auf unterschiedliche Weise beziehen. In welcher genauen Beziehung stehen aber nun die zweite Natur der Sittlichkeit und die andere Natur der Kunst? Das ist die Frage, der die in diesem Schwerpunkt versammelten Beiträge nachgehen.

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Thomas Khurana
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