Abstract
Die Behandlung von einwilligungsunfähigen psychisch kranken Menschen mit neuen Therapiemethoden ist insbesondere im Kontext des „individuellen Heilversuchs“, der als Anwendung wenig erprobter Therapieansätze im Rahmen von „ultima ratio“-Entscheidungen charakterisiert ist, mit ethischen Abwägungsproblemen verbunden. Diese bestehen aufgrund von Einschränkungen in der Handlungs- und Entscheidungsautonomie der betroffenen Patienten und, aufgrund eigen- oder fremdgefährdender Symptome der psychischen Krankheit selbst, insbesondere in der praktischen Umsetzung ethisch akzeptierter Modelle stellvertretender Entscheidung sowie in der Wahl des Bezugspunkts der Nutzen-Risiko-Analyse des intendierten Therapieverfahrens. Der Artikel untersucht den ethischen Konflikt zwischen gerechtfertigter Hilfeleistung und Instrumentalisierungsrisiko psychisch kranker Menschen zu Fremdzwecken am historischen Beispiel der „Rindenexcisionen“ des Psychiaters Gottlieb Burckhardt (1836–1907). Als Lösungsmöglichkeit dieses ethischen Konflikts wird das „Konzept des kontrollierten individuellen Heilversuchs“ diskutiert.