Abstract
Eine der maßgeblichsten Kritiken an Heideggers Wahrheitskonzeption stammt von Ernst Tugendhat. Ihm zufolge gelangt Heidegger in Sein und Zeit zu einer Definition der Aussagewahrheit bzw. einem Wahrheitsbegriff, der das Spezifische des Wahrheitsphänomens zum Verschwinden bringt. Dieser Interpretation hat Carl Friedrich Gethmann wiederholt widersprochen. Heidegger halte an Husserls Begriff der Aussagewahrheit fest und da, wo Tugendhat eine unberechtigte Erweiterung des Wahrheitsbegriffs ausmache, gehe es Heidegger nicht mehr um den Begriff der Aussagewahrheit, sondern um die Voraussetzungen des Wahrheitsbegriffs. Demnach liege keine Erweiterung, sondern ein äquivoker Gebrauch des Begriffs vor. Wie der Beitrag erstens zeigt, kann Gethmanns Lesart als eine konsistente Alternative vertreten werden. Zweitens wird aber auch gezeigt, daß es für Tugendhat naheliegt, die Äquivokation als Erweiterung zu betrachten, da er nach ihrem sachlichen Gehalt fragt. Anhand der Diskussion der These von der Abkünftigkeit des apophantischen aus dem hermeneutischen Als und Gethmanns Deutung dieses Zusammenhangs wird schließlich deutlich, warum Tugendhat zu Recht davon ausgeht, das Spezifische des Wahrheitsbegriffs könne aus der Konzeption der Erschlossenheit nicht hergeleitet werden