Abstract
Die Forschung zum Denken des Religionsphilosophen Martin Buber kommt übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass sein Werk vielfältige Verbindungslinien zur Soziologie Georg Simmels aufweist, der neben Wilhelm Dilthey Bubers wichtigster akademischer Lehrer war und ihn nachhaltig angeregt hat. Biographisch lassen sich die Berührungspunkte auf Bubers Studienjahre an der Berliner Universität zurückverfolgen, wo er zwischen 1898 und 1901 mehrere Lehrveranstaltungen Simmels besuchte, darunter insbesondere soziologische Vorlesungen, die später in dessen Werk Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung einflossen. Spuren der von Simmel ausgehenden Anregungen finden sich in Bubers frühen soziologischen Überlegungen ebenso wie in seiner Dialogphilosophie seit den 1920er Jahren und seinen religionsphilosophischen und ethischen Reflexionen über eine geistige Erneuerung des Judentums. Es ist jedoch nicht von einer linearen Abhängigkeit Bubers von Simmel auszugehen, sondern von einem komplexen Verhältnis von Anknüpfung, Umdeutung und Differenz. Greifbar ist das etwa in Bubers zuspitzender Rezeption der religionssoziologischen Unterscheidung von „Religiosität“ und „Religion“, die Simmel 1906 in seiner Schrift Die Religion vornahm. Buber richtete diese Differenzierung kritisch gegen die rabbinische Tradition und das Christentum, die er als starre, passive Gebilde aus Riten und Denkgebäuden wahrnahm, während er „Religiosität“ als schöpferische Urkraft des Judentums, als dessen dynamische, lebendige, ethisch aktive Lebenshaltung verstand.