Abstract
Der Streit darüber, ob es objektive Wahrheitskriterien gibt, wird oft mit der Frage vermengt, ob Wissenschaft immer fortschreite. Vor allem Popper in "Objective Knowledge" unterstellt in starkem Maße einen allgemeinen Trend der Wissenschaft zum Fortschritt. In diesem Beitrag wird gezeigt, daß Wissen verloren gehen kann: 1. Weil es nicht aufgezeichnet wird; 2. weil die Dokumente, in denen es niedergelegt wurde, verloren gehen; 3. weil das Wissen um die Sprache der Dokumente, in denen es niedergelegt wurde, verloren gegangen ist, 4. weil die spätere Wissenschaftlergemeinschaft die Dokumente nicht genügend beachtet, in denen es niedergelegt wurde. Der Verlust nichtaufgezeichneten Wissens ist äußerst üblich. Der Verlust veröffentlichter Dokumente war besonders vor der Erfindung der Drucktechnik häufig und hat besonders in manchen Zweigen der Geisteswissenschaften einen Rückschritt bedeutet, weil entweder Dokumente, die das Objekt dieser Wissenschaften ausmachen, oder Aufzeichnungen historischer Ereignisse verloren gingen. Der Verlust veröffentlichter Dokumente nach der Erfindung der Drucktechnik war etwas weniger bedeutend, aber er kam dennoch vor. Der Verlust unveröffentlichter Dokumente geschah häufig, und zwar sowohl vor wie nach der Erfindung der Drucktechnik. Ob in unentzifferten Dokumenten definitiv Wissensverlust vorliegt, ist einigermaßen zweifelhaft. Einige unentzifferte Sprachen mögen eines Tages entziffert werden, aber einige unentzifferte Sprachen mögen auch für immer unentziffert bleiben. Der Verlust von Wissen wegen unzureichender Aufmerksamkeit gegenüber dem Werk eines früheren Wissenschaftlers kann behoben werden, wenn man seine Behauptungen nochmals untersucht. Wissensverlust kommt hauptsächlich in den Geisteswissenschaften vor. In der Mathematik und einigen Naturwissenschaften gibt es fast nur Zunahme an Wissen wegen der Wiederholbarkeit der Experimente.