Abstract
Dieser Beitrag vergleicht G. F. Meiers Prinzip der hermeneutischen Billigkeit mit D. Davidsons „Principle of Charity". In der Literatur wurde darauf hingewiesen, daß diese sehr allgemeinen Prinzipien wohlwollender Interpretation insofern verwandt sind, als sie Sprechern und Autoren generell eine gewisse Form von Rationalität unterstellen. Doch weisen sie auch deutlich erkennbare Unterschiede auf. Während Meiers Auslegungskunst einen naiven Bedeutungsbegriff voraussetzt, wirkt Davidsons Prinzip in erster Linie bedeutungskonstitutiv. Ich setze die beiden Prinzipien in den Rahmen einer allgemeinen, hier nur grob entworfenen Theorie der Interpretation, nach der die Interpretation von Äußerungen und Texten stets ein Rekonstruktionsunternehmen darstellt, welches die Existenz von Bedeutungen elementarer lexikalischer Einheiten und grammatikalischer Konstruktionen postuliert, die kontextuell-holistisch verstanden und kompositional verknüpft werden können