Abstract
ZusammenfassungIn der Literatur ist lange über Sinn und Funktion des wirkungsvoll inszenierten Spiels der Ringe in Lessings 1767 erschienenem Lustspiel Minna von Barnhelm sowie der Ringe, die im Zentrum der von Nathan erzählten Parabel im 1779 verfassten Drama stehen, debattiert worden. Allerdings fehlt bisher eine eingehende Erörterung der Frage, inwiefern die jeweiligen Ringe eine vergleichbare Rolle in den beiden Werken haben. Dieser Aufsatz untersucht das Lustspiel und das dramatische Gedicht, um zu zeigen, dass die jeweils verhandelten Ringe als Erinnerungs-Zeichen verstanden werden sollen und dass die Vielschichtigkeit der Ring-Thematik eine grundsätzliche Ambivalenz in Lessings Verständnis von Erinnerung an den Tag legt. Jeder Ring stellt dementsprechend sowohl eine Wiederkehr zu vergangenen Wirklichkeiten und Versprechen dar als auch jene historischen Brüche und Veränderungen, die eine solche Wiederkehr verhindern. Darüber hinaus repräsentieren die Ringe der beiden Dramen den von Aleida Assmann geschilderten und sowohl emanzipatorischen als auch schwierigen Übergang von einem von der Memoria-Tradition geerbten und auf dem Prinzip einer Rückholung archivierter Inhalte basierenden Gedächtnismodell hin zu einem modernen Erinnerungsmodell gegenwartsbasierter Umformung und Erneuerung (Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses [1999]).