Abstract
Genau 150 Jahre nach dem Erscheinen der letzten vollständig zu nennenden Ausgabe der Odysseescholien von W. Dindorf (Oxford 1855) legt Filippomaria Pontani (im folgenden: P.) ein Buch vor, das berechtigten Anlaß zur Hoffnung gibt, daß das dringende Desiderat einer vollständigen Neuausgabe dieses Scholiencorpus endlich erfüllt werden wird. Als der kürzlich verstorbene Doyen der Homerscholienforschung, Hartmut Erbse, 1966 einen Neudruck von Ludwichs Specimina mit den Scholien zu Od. 1.1–309 besorgen ließ, äußerte er im Vorwort fast beschwörend den Wunsch, daß “Ludwichs gutgemeinter, aber eben doch unfertiger Text einen jungen Gelehrten dazu anregen sollte, das ganze Werk von Grund auf zu erneuern und zu vervollständigen”. P. ist sichtlich gewillt (S. 5) und, nach dem zu besprechenden Buch zu schließen, auch fähig, diese schwierige, aber zweifellos lohnende Aufgabe zu übernehmen. Das Buch stellt gewissermaßen die Prolegomena zu einer Neuedition der Odysseescholien dar, weshalb das Augenmerk insbesondere auf der paläographischen, papyrologischen, kodikologischen, überlieferungsgeschichtlichen und textkritischen Untersuchung des Materials liegt, das die Grundlage einer (Neu-)Edition bildet. Aber das Buch leistet mehr, was maßgeblich an P.s Grundüberzeugung liegt, “che ogni manoscritto rappresenti il frutto di un'intenzione precisa, comprensibile solo in una determinata cornice storica e geografica” (S. 6). Diesem historischen und geographischen Kontext spürt P. denn auch durchweg und mit viel Akribie nach. Dadurch erfährt der Leser viel, was deutlich über das hinausgeht, was üblicherweise in einem Prolegomena-Band zu einer kritischen Ausgabe zu lesen ist. Zu einem gewissen Grad wird auch die Anordnung des Materials davon tangiert.