Abstract
Während weibliche Kapitalverbrechen spätestens seit Beginn der Neuzeit immer wieder Aufsehen erregten, blieb weibliche Gewaltkriminalität in statistischen Betrachtungen lange Zeit eine Randerscheinung. Auch die Forensik mit ihren traditionellen Kerndisziplinen Psychiatrie und Recht fokussierte in Analyse und Theoriebildung jenseits des Kindsmords lange auf den gefährlichen männlichen Täter: Männliche Forensiker analysierten männliche Gewalttäter. Seit den 1960er Jahren finden sich in der Bundesrepublik zunehmend wissenschaftliche Beiträge zu weiblicher Kriminalität und deren Ursachen. Auch Frauen analysierten jetzt – in professioneller und gesellschaftskritischer Perspektive – weibliche Kriminalität; eine Entwicklung, die mit der Neuen Frauenbewegung und der Kritischen Kriminologie deutlich an Dynamik gewann. Der Beitrag legt den Fokus auf den Diskurs über weibliche Gewaltkriminalität in der „alten“ Bundesrepublik. Er fragt zunächst nach der Thematisierung von weiblicher Gewaltkriminalität im kriminologischen Diskurs. Untersucht wird vor diesem Hintergrund, wie sich geschlechtsspezifische Konstruktionen von Kriminalität speziell in der Auseinandersetzung mit der „gefährlich Geisteskranken“ in forensischen Diskussionsforen entwickelten, ob und wenn ja welche Topoi fortgeschrieben wurden und welche Topoi Veränderungen erfuhren. Unterschieden sich die Analysen weiblicher Wissenschaftlerinnen von denen ihrer männlichen Fachkollegen? Welche Bedeutung kam dabei kritischen beziehungsweise feministischen Strömungen und Akteur*innen zu? Angesichts gesellschaftlicher Veränderungsprozesse (Emanzipation, Psychiatriereform, Strafrechtsreform) fragt der Artikel nach der Deutung weiblicher Gewalt sowie dem Zusammenhang zwischen Geschlecht, Gefährlichkeit und psychischer Krankheit. Im Fokus steht die Frage nach der Beharrungskraft, Dynamisierung oder Diversifizierung geschlechtsspezifischer Konstruktionen und Normvorstellungen von normal/verrückt in der forensischen Zuspitzung von „gefährlich – krank“.