Abstract
Thema der Untersuchung ist die Phänomenologie des Geschichtlichen bei Bernhard Welte. Die Erfahrung der Geschichtlichkeit, wie sie seit dem 19. Jahrhundert aufgebrochen ist und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in der Philosophie Martin Heideggers greifbar wird, ist auch ein Grundanstoß des Denkens Weltes. Sie begleitet sein religionsphilosophisches Bemühen um ein zeitgemäßes Verständnis des Christentums und um eine Neubesinnung der von den geschichtsfernen Kategorien der überlieferten Metaphysik geprägten Theologie. Das Hervortreten der Geschichtlichkeit zeigt die geschichtliche Verfaßtheit der Gestalten von Glauben und Verkündigung. Sie führt in die Frage nach der Möglichkeit von Tradition als einer Grundfrage von Christentum und christlicher Theologie, deren Besonderheit in der Gründung in der in historischen Ereignissen ergangenen Offenbarung liegt. In ihren Folgen für Glauben und Theologie findet die Geschichtlichkeit in zahlreichen veröffentlichten Schriften Weltes Erwähnung, vor allem im Zusammenhang christologischer, theologiegeschichtlicher und hermeneutischer Fragestellungen, ohne aber als solche philosophisch ausgearbeitet zu werden. Welte aber hat während seiner Lehrtätigkeit vier Vorlesungen gehalten, in denen er in je neuem Entwurf eine Phänomenologie des Geschichtlichen ausarbeitet und dessen Bezüge zum Christentum darlegt. Die Manuskripte der Vorlesungen befinden sich im Nachlaß Weltes. Zum Kreis dieser geschichtsphilosophischen Vorlesungen gehören auch zwei weitere über den Zusammenhang von Geschichtlichkeit und Wahrheit. Diese Vorlesungen bilden die Grundlage der vorliegenden Untersuchung. Sie zeigen eine Entwicklung des geschichtsphilosophischen Denkens Weltes im Ausgang vom Boden der aristotelisch-thomistisch geprägten Metaphysik hin zu einem nachmetaphysischen Denken, in dem sich die Geschichtlichkeit des Daseins zur Geschichtlichkeit des Seins wandelt.