Abstract
Nach einer neueren, angloamerikanischen Forschungsthese ist Phantasie bei Aristoteles keine bloß repräsentierende Einbildungskraft, sondern das Vermögen, die blinden Daten der Wahrnehmung zu interpretieren und ihnen allererst gegenständlich informative Bestimmtheit zu verleihen. Folgende Abhandlung zeigt, daß diese Deutung auf einem Mißverständnis der dunklen zentralen Textstelle De anima III 3 beruht. Während Aristoteles den strengen Begriff der Phantasie von ihrem metaphorischen Begriff unterscheidet, führt die Verwechslung beider Aspekte zu einer Subjektivierung der Wahrnehmung und zu einer Kognitivierung der Phantasie, die bei Aristoteles ein rein sinnliches Vermögen ist. Dadurch wird die deutliche Zäsur in der Begriffsgeschichte von phantasia, imaginatio und Einbildungskraft eingetrübt, die Aristoteles und die Antike von Avicena und Kant trennt